Der stille Angriff auf den Fahrzeugbestand
Ein technisch einwandfreies, regelmäßig gewartetes Fahrzeug sollte ein Garant für Mobilität und Werterhalt sein. Doch eine unscheinbare Vorschrift aus Brüssel und Berlin macht diese Sicherheit zunichte: Die EU-Typgenehmigung, kombiniert mit dem faktischen Ende der Einzelabnahme, ermöglicht es, Fahrzeuge allein durch den Wegfall bestimmter Ersatzteile stillzulegen. Die Folge ist eine gesetzlich abgesicherte Obsoleszenz, die Millionen von Besitzern älterer, aber funktionstüchtiger Autos betrifft.
Historische Entwicklung: Von der nationalen Zulassung zur EU-Typgenehmigung
Bis Mitte der 1990er-Jahre waren in Deutschland national erteilte Betriebserlaubnisse und Einzelabnahmen der Standard. Wurde ein Ersatzteil nicht mehr vom Hersteller produziert, konnte ein fachgerecht gefertigtes Bauteil durch § 21 StVZO oder § 19(2) StVZO problemlos eingetragen werden. Diese Flexibilität endete mit der schrittweisen Einführung der EG-/ECE-Typgenehmigung zwischen 1996 und 1998.
Seither gilt: Fahrzeuge mit EU-Typgenehmigung dürfen nur mit Bauteilen betrieben werden, die über eine entsprechende E-Kennzeichnung verfügen. Fehlt diese, erlischt die Betriebserlaubnis – selbst dann, wenn das Ersatzteil technisch gleichwertig oder sogar hochwertiger ist.

Das Ende der Einzelabnahme – Rechtslage und Folgen
Die zentrale Veränderung liegt im Wegfall der Einzelabnahme für nicht typgenehmigte Teile. Früher konnte ein Prüfer des TÜV oder der DEKRA individuell bescheinigen, dass ein Bauteil sicher, emissionskonform und betriebssicher ist. Seit Inkrafttreten der EU-Verordnung (EU) 2018/858 ist dies für Bauteile, die in den Geltungsbereich der Typgenehmigung fallen, nicht mehr möglich.
Kernproblem:
- Selbst bei identischer Funktion und Qualität zählt nur noch das Vorhandensein einer EU-/ECE-Zulassung.
- Hersteller sind nicht verpflichtet, die Produktion solcher Teile aufrechtzuerhalten.
- Sobald ein Hersteller ein Teil vom Markt nimmt, können Fahrzeuge faktisch stillgelegt werden.
Ersatzteilmangel als Stilllegungsfaktor
Der kritische Punkt ist, dass die Ersatzteilversorgung nicht mehr nur ein logistisches Problem ist, sondern ein rechtlicher Totalschaden.
Wenn ein E-geprüfter Endschalldämpfer, Katalysator oder ein Steuergerät nicht mehr erhältlich ist, bleibt nur noch:
- das Abstellen des Fahrzeugs
- oder die Verschrottung, wenn die Betriebserlaubnis erloschen ist.
Individuell gefertigte Lösungen – etwa von Handwerkern oder Spezialfirmen – dürfen ohne E-Kennzeichnung nicht mehr verbaut werden. Das macht selbst perfekt restaurierte Fahrzeuge unbrauchbar.
Neue EU-Maßnahmen – TÜV-Pflicht, Exportverbote, Verschrottungsauflagen
Die EU und nationale Regierungen verschärfen die Regulierung zusätzlich:
- Jährliche Hauptuntersuchung für ältere Fahrzeuge: Geplant ist, dass Oldtimer- und Youngtimer-Besitzer jedes Jahr zur HU müssen.
- Verbot des Verkaufs von Fahrzeugen ohne gültige HU: Auch private Verkäufe wären betroffen.
- Exportverbote: Fahrzeuge ohne gültige Betriebserlaubnis sollen nicht mehr ins Ausland verkauft werden dürfen, sondern müssen verschrottet werden.
Diese Maßnahmen führen dazu, dass ein funktionstüchtiges Fahrzeug nicht mehr den Besitzer wechseln kann, sondern aus dem Verkehr gezogen wird.
Wirtschaftliche Folgen für den Gebrauchtwagenmarkt
Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind gravierend:
- Wertverlust: Fahrzeuge, deren Ersatzteile absehbar nicht mehr verfügbar sind, verlieren rasant an Marktwert.
- Marktverzerrung: Werkstätten und Teilehändler können keine Alternativen mehr anbieten, selbst wenn sie technisch einwandfrei wären.
- Kollaps bestimmter Segmente: Besonders betroffen sind ältere Premiumfahrzeuge, die technisch langlebig wären, aber aufgrund fehlender Teile wertlos werden.
Die Kombination aus Regulierung, Ersatzteilmangel und Exportverbot könnte in den nächsten Jahren eine massive Marktbereinigung auslösen.
Praxisbeispiele betroffener Modelle
Schon heute gibt es konkrete Fälle:
- BMW 3er E46 (1998–2005) – Original-Katalysatoren und Abgasanlagen für bestimmte Motorvarianten nicht mehr als E-Teile verfügbar.
- Audi A4 B5 (1994–2001) – Endschalldämpfer für V6-Modelle nicht mehr mit E-Kennzeichnung lieferbar.
- Mercedes W202 (1993–2000) – Katalysatoren bei einigen Dieseln nicht mehr als zugelassenes Neuteil im Handel.
- VW Golf IV (1997–2003) – Bestimmte Abgasstränge für 1.6 FSI-Motoren nicht mehr E-geprüft erhältlich.
Rechtsgrundlagen im Überblick
| Rechtsquelle / Vorschrift | Betroffener Bereich | Kerninhalt | Inkrafttreten |
|---|---|---|---|
| Richtlinie 70/156/EWG & Nachfolger (EG-RL 2007/46, EU 2018/858) | EU-Typgenehmigung | Einheitliches Zulassungsverfahren für Fahrzeuge und Teile in der EU | 1996–1998 Übergang, aktuell gültig |
| StVZO § 19(2) | Betriebserlaubnis | Änderungen am Fahrzeug dürfen Betriebserlaubnis nicht erlöschen lassen | Nationale Vorschrift |
| StVZO § 21 | Einzelbetriebserlaubnis | Früher Zulassung individuell gefertigter Teile möglich, heute stark eingeschränkt | Einschränkung seit EU-2018/858 |
| EU-Pläne (CARS 2030) | HU-Pflicht | Jährliche HU für ältere Fahrzeuge | Geplant |
| Nationale Umsetzungen (BMVI-Entwürfe) | Exportverbot | Keine Ausfuhr von Fahrzeugen ohne Betriebserlaubnis | In Planung |
Fazit – Eigentumsschutz vs. Regulierung
Die aktuelle Gesetzeslage schafft einen Mechanismus, der Besitzern älterer Fahrzeuge jede Handlungsfreiheit nimmt. Sobald ein Hersteller ein E-Teil vom Markt nimmt, kann das Fahrzeug nicht mehr betrieben, verkauft oder exportiert werden. Die geplanten EU-Verschärfungen werden diesen Effekt noch verstärken.
Was auf den ersten Blick wie Verbraucherschutz oder Emissionspolitik aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein System der geplanten Obsoleszenz – abgesichert durch EU-Recht und nationale Umsetzung. Für Millionen Fahrzeughalter bedeutet das: Der Tag, an dem ein simples Ersatzteil fehlt, ist der Tag, an dem ihr Eigentum faktisch wertlos wird.
Quellen:
- EU-Verordnung (EU) 2018/858
- StVZO §§ 19, 21
- KBA-Hinweise zur EG-Typgenehmigung
- BMVI-Entwürfe zur HU-Pflicht und Exportregelung
- ACEA-Positionspapiere zur Ersatzteilversorgung
- Auto Motor und Sport (diverse Berichte zur Teileknappheit)
- Foto von Markus Kammermann auf Unsplash

